Im Sommer habe ich mich ein bißchen in die (mehr oder weniger) authentische mittelalterliche Schneiderei einführen lassen. Und über die Weihnachtsferien habe ich die Zeit gefunden das erste Projekt anzufangen: Ein einfaches spätmittelalterliches (späteres 14. Jh.) Kleid mit Unterkleid. Ich war die letzten Wochen fast durchgehen krank (zwei Erkältungen am Stück…), deshalb hat das alles recht lange gedauert.

Die Kleider lassen sich zeitlich nicht sehr viel genauer datieren als “spätes Mittelalter”, weil doch einige unterschiedliche Techniken zusammen gekommen sind. Als Material habe ich einen indigo-blauen Wollstoff und naturfarbenes Leinen mit Diamantköpermuster von Naturtuche gekauft. Die Stoffe sind maschinengewebt. Handgewebt bieten sie seit kurzem auch an, dass kostet dann aber ungefähr das Vierfache. Die Materialien sind dafür natürlich und für die Zeit angemessen. Die blaue Wolle ist chemisch gefärbt.

Auch bei den Nähten habe ich eine Mischung aus modernen und mittelalterlichen Techniken angewendet. Alle unsichtbaren Nähte sind mit der Maschine genäht und empfindliche Kanten habe ich auch mit der Overlock-Maschine versäubert. Ich habe auch die Seitennähte mit Köperband verstärkt, weil die Stoffe doch sehr dehnbar sind. Alles was irgendwie sichtbar sein könnte, ist aber handgenäht. Das betrifft zum Beispiel auch die Versäuberung innen am Kragen oder am Ärmel. Auch die Ösen und Knopflöcher sind handgenäht. Dafür habe ich mir auch einen passenden Leinenfaden gekauft. Den gibt es auch bei Naturtuche, die ich nur empfehlen kann. 😉

Für das Unterkleid habe ich den naturfarbenen Leinenstoff mit Diamantköpermuster verwendet. Er ist locker gewebt und damit etwas empfindlich, dafür aber umso schöner. Der Schnitt ist vorne und hinten identisch bis auch den Kragenschlitz vorne. Das Kleid wird nur über die Seitennähte an den Körper angepasst, Abnäher gibt es keine. Vorder- und Rückbahn habe ich getrennt zugeschnitten, es gibt also Schulternähte. Die sind hier abgeschrägt, für die verwendeten Ärmel hätten sie aber eigentlich gerade sein können. Die Ärmel bestehen aus Oberärmel und Keilen unter den Armen. Grundsätzlich ist der Oberärmel ein Rechteck, ich habe ihn aber ab dem Ellenbogen zum Handgelenk abgeschrägt, damit er etwas enger anliegt. Dieser einfache Schnitt in unterschiedlichen Varianten wurde über mehrere Jahrhunderte verwendet.

Das Oberkleid ist am Körper sehr ähnlich geschnitten wie das Unterkleid. Der Kragen vorne ist etwas tiefer ausgeschnitten. Die größte Besonderheit sind aber die Ärmel. Bei modernen Ärmeln liegt die Hauptnaht in der Regel unter dem Arm, bei mittelalterlichen Ärmeln aber auf dem Rücken. Ich habe für den einteiligen Ärmel eine Konstruktionsmethode aus The Medieval Tailor’s Assistant: Common Garments 1100-1480 von Sarah Thursfield (allerdings die alte Edition auf Deutsch) verwendet. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Methode nicht doch recht modern ist. Der Ärmel hat aber noch eine weitere Besonderheit, er ist nämlich auf dem Rücken ein ganzes Stück tiefer ausgeschnitten als vorne. Dadurch sitzt der Ärmel im Prinzip “falsch”. Wenn man den Schnitt entsprechend anpasst, ensteht aber ein schöner Effekt, als wäre der Ärmel hinten an den Schultern fast ein Puffärmel.

Für die Ärmel habe ich fünf verschiedene Varianten ausprobiert, darunter auch eine, die man sehr einfach geometrisch konstruieren kann. Die passt nicht ganz so gut wie Sarah Thurfield Variante, aber lässt sich problemlos ganz ohne Maßband oder andere moderne Hilfsmittel anfertigen (Sarah Thurfield Methode zwar auch, aber da fließt schon eine Menge komplizierte Rechnerei ein). Langer Rede kurzer Sinn, am Ende habe ich die Methode aus The Medieval Tailor’s Assistant verwendet und den Ärmel oberhalb des Ellenbogens verlängert um den tieferen Armausschnitt hinten auszugleichen. Die Ärmel sind diesmal am Unterarm so eng anliegend, dass ein Ärmelschlitz notwendig ist. Der wird mit einer Knopfleiste verschlossen.

Die Knöpfe für die Ärmel des Oberkleides sind noch in der Post, wenn sie da und angenäht sind, gibt es nochmal Fotos. Und für das Unterkleid brauche ich noch eine schöne Schnur für den Kragenschlitz vorne. Da wollte ich mich nochmal am Handspinnen versuchen und die Fäden dann flechten. Das Oberkleid ist übrigens vorne mit Metallhaken verschlossen. Das Unterkleid, wie gesagt, mit einer Schnürung.

Und noch eine letzte Danksagung an Henni Speck von Traumwelten. Sie hat das originale Kleid für eine Kollegin aus dem Schwertkampfverein genäht. In einem Workshop hat sie mir dann Tipps zur Konstruktion gegeben und das Kleid habe ich auch als Vorlage ausleihen dürfen.

PS.: Bitte nicht auf die zeitlichen Angaben festnageln, ich bin noch ganz am Anfang beim Lernen. Und in den verfügbaren Quellen tauchen doch immer wieder Vereinfachungen und Fehleinschätzungen auf.